Als junger Investor ohne Crasherfahrung stellen sich einem beim Investieren viele Fragen:
Wie reagiere ich selbst in einem Aktiencrash?
Wie sollte ich handeln und welche Fehler sollte ich vermeiden?
Aus diesem Grund freue ich mich außerordentlich darüber für meine Crashinterview-Reihe einen weiteren erfahrenen Investor gewonnen zu haben. Vincent hat schon einiges an der Börse erlebt und gibt uns seine (teilweise schmerzhaften) Erfahrungen weiter.
Wenn Du die letzten beiden Crashinterviews verpasst hast, dann lies Dir diese unbedingt durch.
Alexander von Rente mit Dividende im Crashinterview
Alex von Reich mit Plan im Crashinterview
Hoffentlich können wir daraus lernen und dadurch die nächste Krise gut überstehen.
Doch lasst uns ins Interview starten:
Stell Dich doch bitte meinen Lesern kurz vor:
Vincent:
Ich bin 41 Jahre alt, Vater einer erwachsenen Tochter und ich arbeite seit fast 25 Jahren als Techniker in einer großen Firma. Ich interessiere mich für Finanzen, Reisen und Sport. Über diese Themen schreibe ich auch auf meinem Blog “freaky finance”.
Seit wann bist Du an der Börse aktiv? Was waren die ersten Erfahrungen mit der Börse und Deine ersten Aktien?
Vincent:
Schon als Jugendlicher habe ich Aktienkurse verfolgt. Damals noch in der örtlichen Tageszeitung. Ich fand die Kursentwicklungen und die damit verbundenen Möglichkeiten spannend. Meine ersten Aktien habe ich 1996 gekauft. Das waren Belegschaftsaktien von Daimler für umgerechnet 26,08€ (damals gab es noch D-Mark). Diese Aktien habe ich heute noch.
Innerhalb weniger Wochen habe ich außerdem noch Bayer, Deutsche Telekom, Commerzbank und BASF gekauft. Bis auf Commerzbank habe ich diese Titel zwar alle auch heute im Depot aber leider nicht die damals erworbenen Anteile. Die habe ich irgendwann mal mit Gewinn verkauft. Von Buy and Hold hatte ich damals noch nichts gehört. Ich war da am Anfang eher als kleiner „Zocker“ unterwegs, was auch ganz gut geklappt hat. Die Gewinne waren wohl auch Grund und Motivation der Börse treu zu bleiben.
Viele Neuinvestoren sind so jung, dass sie den Bankencrash und die Pleite von Lehman-Brothers gar nicht so aktiv mitbekommen haben. Wie kann ich mir als Junginvestor die Zeit des Aktiencrashs vorstellen (z.B. Nachrichten)? Welche Auswirkungen waren zu sehen?
Vincent:
Ich hatte schon einige Crashs miterlebt. Asien-Krise 1997 (Minus 19%), Russland-Krise 1998 (Minus 38%), das Platzen der Dot.com-Blase und 9/11 (2000 – 2003 Minus 68%). In den Nachrichten herrscht in solchen Zeiten immer Weltuntergangsstimmung. Das ist wirklich schlimm. Dein Depot fliegt dir nach allen Regeln der Kunst um die Ohren und diese austauschbaren Nachrichtenstimmen streuen mit ihren Horrorszenarien zusätzlich Salz in die Wunden. Ob berechtigt, fundiert oder nicht – sie hauen immer weiter drauf. Und der öffentlichen Meinung zu Folge wird nichts die Rettung bringen können. Der guten Laune ist das nicht grad förderlich aber so läuft es.
Zwar war jede der genannten Krisen irgendwann vorbei und neue Höhenflüge ließen die Welt wieder rosarot erscheinen aber in der nächsten Baisse wird dir mit allen möglichen Argumenten verklickert, dass es diesmal besonders schlimm wäre und alles ganz anders ist, als die Male davor. Trendwende zum Positiven ausgeschlossen. Und wenn man sich dem aussetzt, fängt es ziemlich sicher auch irgendwann an zu wirken. Das führt wiederum oft zu falschen Entscheidungen und Handlungen… So auch bei mir.
Bist Du von der Krise überrascht worden und wie hast Du dann gehandelt?
Vincent:
Wir befanden uns seit einigen Jahren in einem steigenden Aktienmarkt. Es gab 5 Jahre lang nur kleinere Rücksetzer. Die waren schnell wieder aufgeholt und neue Höchststände erklommen. In der Euphorie waren die oben genannten Crashs irgendwann vergessen.
Es gab aber durchaus Vorboten für den von dir angesprochenen letzten großen Crash 2008/2009. Die sogenannte Subprime-Krise hatte eine massive Veränderung der weltweiten Bankenlandschaft zur Folge. Schon vor der Lehman-Pleite hatten eigentlich alle Banken zu kämpfen und der Dax verlor innerhalb von 9 Monaten ca. 2.000 Punkte (was in dem Fall ca. 25% entsprach). Das Aus der Lehman Brothers hatte einen weiteren Abschlag von fast 2.500 Punkten in einem noch kürzeren Zeitraum zur Folge. Von dem Umfang, den Ausmaßen, der Dauer und den Folgen war ich definitiv überrascht.
Aber das realisiert man ja auch nur häppchenweise. Man war es ja trotz allem irgendwie gewohnt, dass sich die Kurse bald wieder erholen würden. Es kamen jedoch immer mehr und immer größere Probleme ans Tageslicht. Wo zunächst noch Hoffnung war, blieb irgendwann nur noch Entsetzen und es endete schließlich in Resignation. Der DAX hatte inzwischen 55% verloren. Als es nicht besser werden wollte kam Trotz auf. Das äußerte sich bei mir in der Idee, große Beträge abseits der Börse zu investieren.
In Zeiten von steigenden Aktienmärkten ist es ziemlich leicht eine Buy-and-Hold-Strategie zu verfolgen und ganz rational zu handeln. Welchen Einfluss hatten bei Dir die Emotionen in dieser Zeit? Konntest Du (noch) rational handeln?
Vincent:
Während ich in früheren Crashs teilweise noch panisch gehandelt habe und einige Wertpapiere vorschnell verkauft habe, war ich in der Lehmann Krise schon einen Schritt weiter. Verkauft habe ich da nix. Aber blöderweise war das Vertrauen in Aktien doch arg angeschlagen, so dass ich eine Zeit lang bis auf die Sparpläne keine großen Investments mehr an der Börse vornahm.
Da ich aber einem ständigen Kapitalzufluss ausgesetzt bin (Luxusproblem) und mir die Tagesgeldkonten zu langweilig waren, mussten Alternativen her. Damals habe ich bei der ersten deutschen P2P-Plattform Smava angefangen zu investieren. Später kam mit Auxmoney ein weiterer deutscher Marktplatz für Privatkredite dazu. Beide Plattformen haben sich als nicht sehr lukrativ herausgestellt. Meine Smava-Projekte liefen Mitte diesen Jahres mit plus/minus Null aus und bei Auxmoney liegt die von der Plattform angezeigte Rendite heute bei 3,xx% – Tendenz sinkend. Sämtliche Rückflüsse ziehe ich auch dort schon lange ab und investiere diese wesentlich vielversprechender auf ausländischen Plattformen. Aber das ist ein anderes Thema.
Neben dem Einstieg in das P2P-Kreditgeschäft bin ich damals auf geschlossene Beteiligungen aufmerksam geworden. Teilweise als Steuersparmodell, mit hohen prospektierten Renditen und recht kurzen Laufzeiten. Klang nach einer tollen Alternative für den schwächelnden Aktienmarkt. Steuern sparen und hohe Renditeversprechen vernebeln einem ja schnell mal das Hirn. Das ist mir dann dummerweise in dem Anlagenotstand auch passiert. Zu meiner Verteidigung muss ich aber auch sagen, dass z. B. Schifffonds bis dahin jahrzehntelang funktioniert haben. Mit der großen Rezession und Weltwirtschaftskrise kam aber leider auch die gewaltige Krise in der Containerschifffahrt. Die Charterraten brachen dramatisch ein und haben sich entgegen anfänglicher Prognosen bis heute nicht wieder erholt.
BILD Charterraten Baltic Dry Index (Preisindex für das weltweite Verschiffen von Hauptfrachtgütern)
Ein anderes Problem im Bereich geschlossene Beteiligungen, was ich vorher nicht für möglich gehalten habe, ist tatsächlich Betrug! Da lebst du in nem Land wo bis zur Schriftgröße eines Fondsprospektes alles bürokratisch und gesetzlich geregelt ist, aber Fondsinitiatoren können das eingesammelte Geld einfach so verprassen und es dauert Jahre bis sie überhaupt erstmal vor Gericht gestellt werden.
https://www.kanzlei.de/frank-simon-der-initiator-von-trend-capital-wurde-vor-wenigen-tagen-verhaftet
https://www.manager-magazin.de/thema/woelbern_invest_anlageskandal/
Und das Geld bekommste auch nicht wieder, wenn die Typen irgendwann wirklich im Knast sitzen…
Meine Gier gepaart mit der Wirtschaftskrise und unvorstellbaren kriminellen Machenschaften führten im Bereich geschlossene Beteiligungen zu einem Verlust von 200.000 €.
Hätte ich diese Summe 2009/2010 in einen ETF auf den MSCI World gesteckt….
ETF110 auf den MSCI WORLD – Performance-Chart seit 2009
Hinterher ist man immer schlauer. Und die ganz Schlauen haben es vorher gewusst.
Meine Emotionen haben also in der von dir angesprochenen Banken- und Wirtschaftskrise zu krassen Fehlern geführt. Dennoch dachte ich damals ich würde rational handeln, wenn ich nicht weiter alles in den Aktienmarkt stecke, der scheinbar gerade ins Bodenlose zu fallen schien.
Wenn Du nochmal in die Zeit von damals zurückreisen könntest, würdest Du dann anders handeln oder anders mit der Situation umgehen?
Vincent:
Hatte ich aus der ersten großen Krise, die ich erleben musste (New Economy) noch gelernt, nicht das ganze Depot panikartig auf dem Markt zu verramschen, ist die Lehre aus der Zeit der Bankenkrise, dass Aktien langfristig die Nase vorn haben und dass es wahrscheinlich immer so bleiben wird. Eine gewisse Diversifizierung ist mir auch heute noch wichtig aber der größte Teil meines Vermögens ist und bleibt in Wertpapieren investiert. Ich bilde mir zudem auch ein, dass ich im nächsten großen Crash bereit bin viel größer an der Börse zu investieren als noch in der letzten Krise.
Es ist zwar nicht so, dass ich den Crash herbeisehne aber tatsächlich investiere ich seit geraumer Zeit eher mit angezogener Handbremse am Aktienmarkt (tue es aber dennoch regelmäßig) und stocke alternative Investments auf. Sobald Aktien wieder deutlich günstiger zu haben sind wird ordentlich nachgekauft. So der Plan!
Also im Prinzip umgekehrt als damals, wo ich in der Hausse alles was ging an der Börse investiert habe und im Crash andere Anlageklassen suchte.
Um also auf deine Frage zu antworten: Wenn ich eine Zeitmaschine hätte, würde ich zurückspringen und 2008 bis 2010 viel mehr Aktien und gleichzeitig natürlich keine geschlossene Beteiligungen kaufen! Letztere kommen mir so oder so nicht mehr in die Tüte!
Außerdem würde ich die nicht endende Negativberichterstattung soweit es geht ausblenden und nicht beachten. Man hatte ja zeitweise das Gefühl, dass der Planet nicht weiter existieren kann, weil Lehman pleitegegangen ist. Das ging gefühlt ewig so und hat sich natürlich auch irgendwie eingebrannt. Da konnte man kaum noch selbstbestimmt denken. Klar war die Situation damals bescheiden. Aber die übertriebene Schwarzmalerei hat es nicht besser gemacht. Also das würde ich versuchen auszublenden und mich nicht zusätzlich verrückt machen lassen. Insgesamt konsumiere ich heute viel weniger aktuelle Nachrichten als früher. Das ist für mich ein Schritt in die richtige Richtung.
Welche Tipps kannst Du an die Investoren geben, die noch nie einen Crash erlebt haben?
Vincent:
Lerne aus meinen Fehlern und meinen Erfahrungen. Ich denke so oder so ähnlich ist es damals vielen gegangen. Einen Crash kann man nicht realitätsnah simulieren. Wenn er kommt und dein hart erarbeitetes und versteuertes Geld sich größtenteils in Luft aufzulösen scheint, kommt die Panik von ganz alleine. Die Weltuntergangsstimmung und die einschlägige Berichterstattung tun ihr übriges. Du siehst Jahre harter Arbeit den Bach runtergehen. Aber es bleiben nur Zahlen und theoretische Werte, wenn du standhaft bleibst und deine Aktien nicht verkaufst. Wenn du richtig mutig bist, kaufst du solide Werte oder Indexfonds nach. In der Theorie wissen die meisten, dass so zu handeln ist. Echt mutig bist du, wenn du das auch umgesetzt bekommst und nicht doch kneifst. Im Normallfall sollte dieses (antizyklische) Handeln langfristig belohnt werden.
So kann das dann aussehen. Natürlich ohne Gewähr.
Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für ein Interview genommen hast. Ich denke, dass alle jüngeren Investoren von Deinen Erfahrungen im Crash profitieren können und dann eventuell leichter dadurch kommen.
Gerne, erstens stehe ich dazu, dass ich auch überhaupt nicht perfekt bin und Fehler mache, und wenn es hilft, teile ich diese Erfahrungen gerne. Ich wünsche uns allen gute Nerven und sinnvolles Handeln im nächsten Crash!
Passend zu diesem Thema findet morgen auf Facebook eine Live-Veranstaltung von 19 bis 20 Uhr statt. Mit Vincent (mein Interviewpartner), Natascha Wegelin, Anette Weiß, Lars Wrobbel und Luis Pazos unterhalten sich dort einige sehr erfahrene Investoren über Crashs und Katastrophen am Finanzmarkt. Du hast dabei auch die Möglichkeit Fragen zu stellen, die Dich selbst interessieren.
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Kein Kommentar hier? Das muss ich ändern. Super Interview, ich lese seit einiger Zeit alles mögliche über Crashs, da sie, wie du schon schreibst, eigentlich die besten theoretischen Geldmaschinen sind. Sehr interessant und toll geschrieben, wie die Stimmung in der Zeit ist, kann mir nun besser vorstellen, warum es so schwer ist gegen die Allgemeine Stimmung zu handeln.
Hallo Dr. Bundy,
ich fand es auchs ehr schaden, dass es so wenig Resonanz zu dem Thema gab.
Obwohl es meiner Meinung nach sehr wichtig ist von erfahreneren Investoren zu lernen, gab es nicht viel Kritik. Vielleicht gab es auch zu wenig, was kritisiert werden konnte.
2008/2009 im Crash war ich gerade mal 11/12 und habe trotzdem mitbekommen, welche heftigen Auswirkungen es auf dei Wirtschaft gab und wie in den Medien darüber berichtet wurde. Da fällt es schwer optimistisch weiter an den Börsen zu investieren.
Schöne Grüße
Dominik
Hallo Dr. Bundy!
Danke für das Feedback. Freut mich, wenn du etwas für dich mitnehmen konntest.
Ich weiß nicht wie lange du schon an der Börse bist aber viele, die nur die Hausse der letzten Jahre kennen werden sich vermutlich erschrecken, wenn es monatelang runtergeht und die Buchverluste immer größer werden. Für den Fall der Fälle wünsche ich uns allen einen kühlen Kopf 🙂
Beste Grüße
Vincent