Mitternacht ist bereits seit fast einer halben Stunde vorbei. Ich renne so schnell ich kann. Ein junger Mann ist direkt hinter mir. Er hat mich fast eingeholt. Ich lege nochmal einen Schritt zu. Mein Herz pocht mir bis zum Hals. Außer mir und dem Mann hinter mir ist sonst keine Menschenseele unterwegs. Ich denke mir: „Wäre ich nicht so lange geblieben und hätte mich früher auf den Weg gemacht, dann wäre ich jetzt nicht in dieser Situation.“ Ich renne eine lange Steintreppe nach oben. Er ist direkt hinter mir und oben angekommen, hat er mich eingeholt …
Was passierte als nächstes?
Wenn ich jetzt verschiedene Menschen diese Geschichte zu Ende schreiben ließe, dann kämen wahrscheinlich ziemlich ähnliche Ergebnisse heraus, und jedes davon wäre weit von der Realität entfernt. (Wie die Geschichte weiter geht, werde ich später auflösen.) So würden sie wahrscheinlich schreiben, dass der Mann mich vielleicht angreifen oder auf irgendeine andere Weise schaden wollte. Aus der Geschichte scheint hervorzugehen, dass ich aus irgendeinem Grund Angst hätte und vor dem Mann flüchtete.
Bestimmte Informationen wegzulassen und mit scheinbar eindeutigen Andeutungen zu arbeiten ist ein typischer Trick beim Bücher schreiben. So wird vom Autor eines Krimis beim Leser zum Beispiel Spannung erzeugt, die durch die Nennung der ausgelassenen Informationen aufgelöst wird.
Genau so läuft es auch im eigenen Leben, aber nur mit dem Unterschied, dass wir hier selbst die Autoren unserer eigenen Geschichte sind. Hierbei spielt die eigene Wahrnehmung und die Bewertung der eigenen Situation eine sehr wichtige Rolle. Niemand kann alles wahrnehmen und verarbeiten. So bestimmt die eigene Wahrnehmung maßgeblich, wie wir die Welt sehen.
Selektive Wahrnehmung
Da das Gehirn nicht die gesamten Informationen verarbeiten kann, muss es eine Vorauswahl treffen. So werden hauptsächlich Informationen aufgenommen und verarbeitet, die die eigene Sichtweise bestätigen. Wenn ich zum Beispiel glaube, dass ich verfolgt werde, dann werde ich Informationen wahrnehmen, die diese Annahme belegt. Gehe ich davon aus, dass mich alle Menschen betrügen und schädigen wollen, dann werde ich alles wahrnehmen, was diese Ansicht bestätigt.
Dadurch schaffen wir uns unsere eigene Illusion der Welt. Wie in meiner Geschichte ziehen wir dann falsche Schlüsse, weil uns Informationen fehlen, die für die Gegenseite sprächen.
Die Fortsetzung
Jetzt möchte ich die angefangene Geschichte um ein paar weitere Details ergänzen und zu Ende erzählen.
Ich hatte ein Treffen in Dortmund und befand mich auf dem Nachhauseweg. Im Dortmunder Hauptbahnhof angekommen, las ich auf dem Abfahrtsplan, dass mein Zug nach Gelsenkirchen in einer Minute abfahren wird. Dann sprintete ich los, um meinen Zug noch zu erreichen. Direkt hinter mir ist noch ein Mann, der scheinbar mit dem gleichen Zug fahren will und auch rennt. Ich renne die Treppe zum Gleis hoch und als ich gerade oben angekommen bin, fährt der Zug los. Der nächste Zug fährt wieder in einer Stunde.
Der andere Mann fängt an zu fluchen und beschimpft den Zugfahrer. Es sei alles seine Schuld und es sei eine Unverschämtheit, dass er nicht mal auf ihn warten könnte. Andauernd würde ihm sowas passieren und auf die Deutsche Bahn könne man sich sowie nicht verlassen.
Nie mehr ärgern!
Früher habe ich genau dasselbe gedacht und habe mich über Verspätungen und ähnliches extrem aufgeregt. Diesmal war ich sowohl innerlich als auch äußerlich vollkommen entspannt. Es war für uns beide genau das gleiche Ereignis, doch die Bewertung von diesem war ganz unterschiedlich.
Eins meiner ersten Bücher zum Thema Persönlichkeitsentwicklung war „Glück kommt selten allein“ von Dr. Eckhardt von Hirschhausen. Da habe ich viel über das Thema glücklich sein gelernt. So verändert sich das Glück langfristig gar nicht durch äußere Einflüsse. Glück kommt einfach durch die Art und Weise die Welt zu sehen. Bezogen auf das Ärgern gab es einen zentralen Satz, den ich mir auf meinem Handy zum Merken und häufigen Wiederholen gespeichert habe. Dieser lautet:
ICH ÄRGERE MICH!
Jeder von uns hat das wahrscheinlich schon häufig gesagt ohne zu wissen, dass die Lösung sich nicht zu ärgern in diesem Satz liegt. Wenn wir das Subjekt bestimmen, dann finden wir raus, wer ärgert.
Ich ärgere.
Durch die Frage nach dem Objekt finden wir heraus, wer geärgert wird.
Ich werde geärgert.
Als ich diesen Zusammenhang verstanden hatte, wurde mir einiges klar. Die ganze Zeit habe ich mich selbst geärgert und gemeint, ich könne an dieser Situation nichts ändern. Ich dachte, der verspätete Zug oder irgendeine andere doofe Situation sei an meiner schlechten Laune schuld.
Diesen Zusammenhang zu erkennen, bedeutet auch festzustellen, dass ich an der Situation etwas ändern kann.
Glücklicher sein
Das gleiche lässt sich auch auf das eigene Glück übertragen. Häufig wird gemeint, dass Glück einzig durch bestimmte Umstände ausgelöst wird und so sich unserer eigenen Kontrolle entzieht. Meiner Meinung nach bringt eine bestimmte Studie zum Thema Glück die Sachen gut auf den Punkt.
Es wurden sehr viele Menschen dazu befragt, wie glücklich sie sind. Bei der Studie lag der Fokus auf zwei unterschiedlichen Gruppen. Einmal Menschen, die im Lotto gewonnen haben und auf der anderen Seite Menschen, die durch einen Unfall querschnittsgelähmt wurden. Es scheint klar, was jetzt mit dem Glücksempfinden passiert. Der Lottomillionär wird glücklicher und der Querschnittsgelähmte wird unglücklicher. Zuerst stimmt dies auch, doch nach etwa drei Monaten sind die Menschen wieder genauso glücklich wie vorher. So wirkt sich jedes Ereignis im Leben aus. Zuerst macht es glücklicher oder unglücklicher und nach etwa drei Monaten ist der Effekt wieder ausgeglichen. Es tritt der Effekt der Gewöhnung ein.
Ich kann hierzu wirklich nur jedem das Buch von Dr. Eckart von Hirschhausen empfehlen. Hier werden noch viele andere wichtige Zusammenhänge zum Thema Glück dargestellt. (Zum Angebot auf Amazon)
Wann hast Du Dich zuletzt unnötigerweise geärgert?